Die Welt des ventralen Vagus: Gähnen, Neurotransmitter und die Kunst der Selbstreflexion

Eines der faszinierendsten Gebiete der modernen Neurowissenschaft ist die Untersuchung des Vagusnervs, einem Schlüsselelement in der berühmten Polyvagal-Theorie. Diese Theorie, erstmals in den 1990er Jahren von Dr. Stephen Porges vorgestellt, schlägt vor, dass der Vagusnerv, der eine zentrale Rolle in unserem autonomen Nervensystem spielt, in drei unterschiedliche Systeme unterteilt ist: Das soziale Engagementsystem (ventraler Vagus), das „Kampf- oder Flucht“-System (sympathisches Nervensystem) und das „totstellen“-System (dorsaler Vagus).

Doch was bedeutet ventral Vagal? Und was ist seine Funktion? Der ventrale Vagus, Teil des parasympathischen Nervensystems, ist dafür verantwortlich, unseren Körper in einen Zustand der Ruhe und Regeneration zu versetzen. Er ist in hohem Maße an sozialen Interaktionen beteiligt und wird durch Verhaltensweisen wie freundlicher Blickkontakt, beruhigende Geräusche und – überraschenderweise – Gähnen aktiviert.

Gähnen ist eine weit verbreitete, aber oft unterschätzte menschliche Funktion. Es ist nicht nur ein Zeichen für Müdigkeit oder Langeweile, sondern dient auch als neurophysiologisches Werkzeug, das das ventrale Vagussystem aktiviert. Neben seiner allgemeinen Rolle bei der Steigerung der sozialen Resonanz und des Mitgefühls, hat Gähnen auch eine direkte Wirkung auf das Bewusstsein.

Durch die Aktivierung des Präkuneus, einer Struktur im parietalen Kortex, erleichtert das Gähnen den Zugang zu Erinnerungen und fördert die Selbstreflexion. In der Wissenschaft wird die Hypothese vertreten, dass dieser Bereich eine wesentliche Rolle für das Bewusstsein spielt. Dies zeigt, wie eng das Gähnen mit unserer kognitiven Funktion und unserer sozialen Interaktion verbunden ist.

Doch das ist nicht alles. Gähnen hat auch eine entscheidende Rolle bei der Regulierung der Gehirntemperatur und des Energieverbrauchs. Es baut Stress ab, hilft uns beim Aufwachen, signalisiert uns, dass es Zeit wird zu schlafen, und schärft unsere Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Beim Gähnen wird zudem eine Vielzahl von Neurotransmittern freigesetzt, die mit Lust, Sinnlichkeit, einer Leichtigkeit des Seins und zwischenmenschlicher Bindung in Verbindung stehen. Diese Eigenschaften machen Gähnen zu einem leistungsstarken, natürlichen Mechanismus zur Verbesserung unserer geistigen Gesundheit und unseres allgemeinen Wohlbefindens.

Der dorsale Vagus hingegen, hat eine ganz andere Funktion. Er ist dafür verantwortlich, uns in einen Zustand der Immobilität zu versetzen, als ob wir „tot stellen“ würden, wenn wir unter extremem Stress stehen oder uns in einer Situation befinden, die als lebensbedrohlich wahrgenommen wird. Es ist wichtig zu betonen, dass dieser Zustand von Immobilität oder Erstarrung nicht unbedingt negativ ist. In vielen Fällen kann dies eine überlebenswichtige Reaktion sein.

Um die Potenziale des ventralen Vagus voll auszuschöpfen, können wir auch verschiedene Übungen und Meditationspraktiken nutzen. Eine solche Methode ist die neuroaffektive Meditation. In dieser Praxis, die von Jan im Cafe Albatros angeboten wird, werden die Teilnehmer eingeladen, durch bewusste Atmung und Achtsamkeit eine tiefere und bewusstere Präsenz zu erreichen.

Abschließend lässt sich sagen, dass der ventrale Vagus und das Phänomen des Gähnens ein faszinierendes und tiefgreifendes Gebiet der Neurowissenschaft darstellen, das die Türen zu einem besseren Verständnis unserer Gehirnfunktionen, unserer sozialen Interaktionen und unseres Bewusstseins öffnet. Lassen Sie uns diese Forschung als Einladung nutzen, tiefer in uns selbst hineinzuschauen, unser Mitgefühl zu stärken und unsere mentale und emotionale Gesundheit zu verbessern.

Wenn du Fragen zu den Begriffen im Text hast, schreibe Jan gerne eine Nachricht an jan@anjaliyoga.de

Jan Wolk, Yoga Lehrer & Ausbilder, Milz Projektor, V+P+K-, geboren 1978 in München, hat vor mehr als 20 Jahren den Hatha Yoga Weg für sich entdeckt und sich sofort sehr wohl gefühlt. Als Yogalehrer im Rahmen der zweijährigen Bausteinausbildung von Yoga Vidya ausgebildet, verliebt in Yin Yoga mit Shanti Wade & Yin Yoga: The Functional Approach mit Paul Grilley, anfangs besonders dem Jnana Yoga, Vedanta und Raja Yoga zugewendet. Weiter ausgebildet als Spiritueller Heiler und Ayurveda Gesundheitsberater bei Janavallabha das von Veda Vid und als Breathwork Facilitator bei lichtatmung.de. Heute ein Fan von euroaffektiver Meditation nach Marianne Bentzen, Trauma-informiertem Raum-Halten und der Kraft des eigenen Atems. Von 2016 bis 2022 leitete Jan zusammen mit Lisa das Anjali Yoga Studio mit einem offenen Stundenplan in Hamburg und unterrichtet weiter für Anjali Yoga Ausbildungen im Yoga, Meditation & Breathwork, Präventionskurse und bildet Yogalehrer/innen aus. Seit 2003 lebt er mit seiner Frau Lisa zusammen in Hamburg. Sie haben 2 tolle Kinder im Alter von 14 und 12 Jahren.